KIF490:Resolutionsentwürfe/Repräsentation aller Geschlechter in der Informatik

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Version vom 15. Mai 2021, 16:12 Uhr von Janfred (Diskussion | Beiträge) (Link zu eingesprochener Reso)

Resolution

Eingesprochene Resolution (by KIFfel:Janfred)

Die 49,0. Konferenz der deutschsprachigen Informatikfachschaften fordert die Hochschulen, die Schulen, die Politik, die Studierenden und die Studierendenvertretungen auf, folgende Maßnahmen zu ergreifen, um die Anteile der nicht-cis-männlichen Studierenden im Informatik-Studium zu erhöhen.


Forderungen

Fachliches Interesse fördern

Von Anfang an werden aktuell Kinder durch die Eltern und die Schule in Geschlechterrollen gedrängt. Daraus resultieren zwei Probleme:

  • Es "(Ebenso) können sich Faktoren um die Interessen für MINT-Fächer auszuschließen auch schon im Kindesalter aneignen. Jungen bekommen von ihren Eltern Autos, Lego und Bausteine zum Spielen. (...) Das zeigt, dass Jungen schon im jungen Alter mehr als Mädchen mit technischen Spielen beschäftigt sind." [4] "Während Männer schon in früher Jugend in und außerhalb der Schule viel Umgang mit Computern haben und darin von Eltern und LehrerInnen gefördert werden, bekommen Frauen diesbezüglich aus ihrem Umfeld weit weniger Anregungen und Unterstützung. Elternhaus und Schule, die zentralen Sozialisationsinstanzen, wirken auf Frauen hemmend im Hinblick auf die Ausbildung eines Interesses an Informatik." [1]
  • "Schon während ihrer frühen Sozialisation erfahren die meisten Mädchen, daß alles Technische als Kompetenzbereich dem männlichen Geschlecht zugeordnet wird. Falls sie an koedukativen Schulen am Informatikunterricht teilnehmen, treffen sie typischerweise auf computerbegeisterte Jungen – Freaks, die sich sehr früh mit Computerspielen, Programmieren und Computerhardware auch als Hobby beschäftigen. Den meisten Mädchen liegt diese Art des Umgangs mit Computern fern. Durch die Beschäftigung mit Technik von Kindesbeinen an haben Jungen im Studium einen gefühlten Vorsprung gegenüber den Mädchen. (...) Die Atmosphäre im Studium wird wiederum auf unangenehme Weise (...) von der kleinen Gruppe der Hacker bestimmt [22]. In der Wahrnehmung der anderen scheinen sie genau dem vorgestellten Anforderungsprofil zu entsprechen. Für die Frauen bleibt dadurch die Divergenz zwischen dem Eindruck, was von ihnen erwartet würde, und dem Gefühl, genau diesem Bild nicht gerecht zu werden, bestehen." [1].

Die Schule, allen voran die Lehrkräfte haben hier einen großen Einfluss. Daher muss der Aspekt des Lehramtes und der Schulen in folgende Richtungen überarbeitet werden:

  1. Um das Interesse für die Informatik bei allen Kindern gleichermaßen und von klein auf zu wecken, muss Informatik im Sinne der Charta Digitale Bildung frühzeitig und an allen Schularten ein Pflichtfach sein. Die Kapazitäten für die Informatik-Lehramtsstudiengänge müssen daher deutlich ausgebaut werden.
  2. Die Aspekte von Selbstreflexion, Antidiskriminierung und Umgang mit Diskriminierung in einer Lehrenden-Situation müssen Teil des Studiums sein.
  3. Lehrkräfte haben verpflichtend an Fortbildungen zu den oben genannten Themen teilzunehmen, wobei in diesen neue Erkenntnisse der Forschung und gesellschaftliche Entwicklungen abgebildet werden müssen.
  4. Lehrkräfte müssen sowohl im Studium als auch durch Fortbildungen befähigt sein, diskriminierendes Verhalten bei sich selbst und in der Klasse zu erkennen und zu unterbinden.


Gesellschaft und Medien sind in diesem Kontext auch in der Verantwortung. Die Darstellung der Informatik und die Reproduktion bestehender Vorurteile in den Medien und durch die Gesellschaft verstärken das Problem der Männerdominanz in der Informatik [4]. Hier muss ein Kulturwandel geschehen.

  1. Auf Stereotype-Darstellung von Informatiker\*innen als Hacker oder unsoziale Nerds muss verzichtet werden.
  2. Es müssen mehr und realistischere Rollenvorbilder für nicht-cis-männliche Personen in der Öffentlichkeit sichtbar sein.
  3. Das Interesse von Kindern an Technik und Mathematik muss von Anfang an und völlig unabhängig vom Geschlecht gefördert werden. Dabei sollen gezielt nicht-cis-männliche Kinder zu naturwissenschaftlichen Beschäftigungen ermutigt werden [1].

Übergang Schule-Studium

Die Stereotypen, die während der Schulzeit verinnerlicht wurden, spielen bei der Wahl der Berufsausbildung und des Studiums eine große Rolle. Auf der Seite der Hochschulen muss diesen Stereotypen bewusst entgegengetreten werden.

1. Geschlechtsunabhängige Studienberatung mit Bewusstsein für unterschiedliche Sozialisierungen

Studienberatungsstellen sind oft ein ausschlaggebender Faktor in der Studienwahl. Schüler\*innen sollen allgemein unabhängig von ihrem Geschlecht beraten werden. Hinsichtlich des Einflusses von Sozialisierung auf die Interessenbildung von nicht-cis-männlichen Personen, muss die Beratung auf den Abbau von falschen Vorstellungen und Stereotypen hinwirken. Für Studienberatungen muss es regelmäßige Schulungen geben, welche sich unter Anderem gezielt mit dem Thema Gender-Bias befassen.

2. Informationsangebote, Kennenlerntage und Workshops für Studieninteressierte müssen zielgruppenorientiert und diskriminierungsfrei gestaltet sein

Angebote von Hochschulen, ob sie sich an gemischte Gruppen oder an ein geschlechtsspezifisches Publikum richten, müssen zu allererst die Informatik so darstellen, wie sie ist. Es ist zudem wichtig, dass die Angebote keine Stereotypen reproduzieren oder auf geschlechterbezogenen Annahmen basieren. Angebote für nicht-cis-männliche Personen sind dabei ein Zusatz zu den bestehenden Angeboten und als solche sehr wichtig [2]. In der Untersuchung von Schinzel et al [1] wird klar, dass die Motivation von Frauen stärker durch den Wunsch in einem bestimmten Bereich zu arbeiten getrieben wird. Daher sollten die Informationsangebote, wie in der Untersuchung vorgeschlagen, stärker die möglichen Arbeitsbereiche in den Blick nehmen.

3. Best-Practice Beispiele anderer Hochschulen nutzen

Viele Hochschulen haben Programme etabliert, um Studierende zu gewinnen. Auch Programme, die sich gezielt an nicht-cis-männliche Studieninteressierte richten und damit erfolgreich sind, gibt es an vielen Hochschulen. Hochschulen müssen sich untereinander austauschen und von den Erfahrungen anderer Hochschulen profitieren.[3,5] Als ein mögliches Beispiel für ein Best Practice ist die Informatik-Schnupperuni der TU Dortmund zu nennen. Wichtig ist hier bei auch, dass kleinere Hochschulen mit großen Hochschulen oder anderen kleinen Hochschulen in ihrer Umgebung kooperieren, um solche Programme anbieten zu können.

4. Diversität angemessen darstellen und nicht alleine den Frauen überlassen

Die Darstellung der Informatikstudiengänge müssen in Informationsmaterialien und in Informationsveranstaltungen divers und realistisch sein. Dabei ist es nicht alleine die Aufgabe von Frauen, nicht-cis-männliche Personen für das Informatikstudium zu begeistern. Es ist wichtig, dass die Studieninteressierten nicht unrealistische Rollenbilder, sondern realistische / die Studierendenschaft repräsentierende Studierende sehen und sich mit ihnen unterhalten können.

Studienbedingungen

Die Studienbedingungen sind ein weiterer Punkt an dem viele nicht-cis-männlichen Personen verloren gehen. Die Politik, Hochschulen, Studierendenvertretungen und die Studierenden selbst haben die Verantwortung Studienbedingungen zu schaffen, die einen Abbruch aus nicht-fachlichen Gründen verhindern. Untersuchungen aus der Vergangenheit haben gezeigt, dass Frauen im Studium mit sich selbst und ihrer Eignung zum Studium hadern[1,2,3]. Alle drei Untersuchungen haben als Handlungsbedarf identifiziert, dass Frauen durch die Hochschulen darin gefördert werden müssen, mehr Sicherheit im Bezug auf ihre eigenen Fähigkeiten zu entwickeln [1]. Wir sehen diesen Handlungsbedarf ebenfalls bei anderen nicht-cis-männlichen Personen. Insgesamt sehen vergangene Studien und Untersuchungen vor allem die Hochschulen in der Verantwortung, ein Umfeld zu schaffen, in dem es für nicht-cis-männliche Personen angenehm ist, Informatik zu studieren.

Daher stellen wir an die Hochschulen, die Professor\*innen, die Studierenden und die Studierendenvertretungen folgende Forderungen:

  1. Lehrende - Professor\*innen, wissenschaftliche Mitarbeitende und studentische Tutor\*innen - müssen Antidiskriminierungsschulungen bekommen.
  2. Wenn es zu Vorfällen kommt, in denen sich Mitglieder und Angehörige von Hochschulen sexistisch, sexualisiert, rassistisch und/oder LGBTIQ*-feindlich verhalten, müssen die Hochschule, die Studierendenvertretungen und die einzelnen Studierenden konsequent durchgreifen.
  3. Wenn es im Kontext von Veranstaltungen von Studierendendenvertretungen zu Übergriffen kommt, müssen die Studierendenvertretungen deutlich gegen die Täter\*innen durchgreifen. Aus solchen Veranstaltungen sind Awareness-Strukturen zu schaffen.
  4. Die Gleichstellungsarbeit in der Informatik darf nicht alleine auf die wenigen vorhandenen Frauen ausgelagert werden. Dadurch entsteht wieder eine Ungleichbehandlung, denn die wenigen Frauen haben somit signifikant mehr Arbeit und müssen viel Zeit aufwenden, die ihnen im Studium, in der Lehre und der Forschung fehlen.
  5. In allen Landeshochschulgesetzen müssen Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsbeauftragte und -stellen etabliert werden. Diese müssen hochschulintern und hochschulübergereifend vernetzt werden.
  6. Die Antidiskriminierungs- sowie Gleichstellungstellen der Hochschulen müssen mit angemessenen Mitteln ausgestattet werden. Dies bezieht sich auf die finanziellen, personellen und sachlichen Ressourcen, aber auch auf die Kompetenzen und Befugnisse. Die Stellen müssen in der Studierendenschaft und an der gesamten Hochschule bekannt gemacht werden. Sie müssen niederschwellige Angebote haben und leicht erreichbar sein.
  7. Es muss feste Beschwerdestrukturen für alle Mitglieder und Angehörige der Hochschule geben. Dabei muss es vielfältige und gut zu erreichende Anlaufstellen für die Studierenden, sowie anderen Mitgliedern der Hochschule geben. Das Verfahren muss für die Beschwerdeführenden transparent und leicht verständlich sein.
  8. Frauenförderungsprogramme dürfen sich nicht auf Unterstützung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf beschränken, wobei diese Unterstützung dennoch wichtig ist und weiterhin ausgebaut werden muss. Es ist zu beachten, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bzw. Studium auch für Männer sichergestellt werden muss.
  9. Die Hochschulen müssen ein Gleichstellungskonzept haben, welches den derzeitigen Zustand, den angezielten Zustand und die Maßnahmen, die zum erreichen des angezielten Zustand notwendig sind, enthalten müssen. Das Gleichstellungskonzept muss dabei regelmäßig überprüft und weiterentwickelt werden, unter Nutzung von PDCA-Zyklen (Plan-Do-Check-Act). Die Gleichstellungskonzepte müssen Maßnahmen enthalten, um den Anteil der nicht-cis-männlichen Personen in allen Statusgruppen zu erhöhen.
  10. Die Maßnahmen der Gleichstellungskonzepte müssen auch auf der Ebene der Studiengänge umgesetzt werden. Dies bezieht sich auf die Gewinnung von nicht-cis-männlichen Studierenden, wissenschaftlichen Mitarbeitenden und Professor\*innen. Die Umsetzung muss zudem in den Studienplänen und Lehrveranstaltungen gegeben sein.
  11. In den Studienplänen und Lehrveranstaltungen müssen die Geschlechterforschung der Informatik und auch die Erkenntnisse der Geschlechterforschung der Informatik Einzug finden [3].
  12. Es muss eine genderreflektierende Sprache in Vorlesungen und Lern- und Lehrmaterialien verwendet werden. Außerdem müssen adäquate Beispiele gewählt werden, welche Diversität repräsentieren und dabei keine Stereotype verstärken und niemanden diskriminieren.
  13. Hochschulen müssen bürokratiearme Möglichkeiten für Namenswechsel und Änderung des Geschlechtseintrag im Campusmanagementsystem schaffen. Abschlusszeugnisse und andere Dokumente der Hochschschule müssen Geschlechtsneutral ausgestellt werden.
  14. Die Hochschulen müssen Vernetzungs- und Empowermentsstrukturen für nicht-cis-männliche Mitglieder und Angehörige schaffen. Mindestens müssen Mentoring-Programme zur Stärkung von Kontakt und Austausch zwischen nicht-cis-männlichen Personen geschaffen werden, welche gut beworben und in den Studienalltag integriert sind. Neben diesem Mentoring-Programm zur Unterstützung der nicht-cis-männlichen Studierenden müssen auch weitere Vernetzungsmöglichkeiten geschaffen werden, wie beispielsweise Vernetzungs-Cafés oder dedizierte Lerngruppen.
  15. Hochschulen müssen angemessene Save Spaces für nicht-cis-männliche Mitglieder und Angehörige schaffen, die zusätzlich zu den normalen Räumen existieren. Dies ist eine Möglichkeit sich in einem geschützten Raum auszutauschen und so eine weitere Möglichkeit des Empowerments.

Quellen

[1] Das Studium der Informatik: Studiensituation von Studentinnen und Studenten (1999)

[2] Zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Informatik (1993)

[3] Informatik: Geschlechteraspekte einer technischen Disziplin (2008)

[4] Frauen als Teil der Informatik (2018)

[5] Regelhafte Studienangebote für Frauen in einem koedukativen Universitätsstudiengang Informatik (1999)

[22] Excluding women from the technologies of the future?: A case study of the culture of computer science (1991)