KIF350:Arbeitskreise/Sicherheit - offener Brief - Formulierung
Sehr geehrte Abgeordnete (personalisierte Anrede)!
Die Teilnehmenden der 35,0ten Konferenz der Informatikfachschaften beobachten mit Entsetzen und großer Verfassungslosigkeit, wie in zunehmendem Maße Grund- und Freiheitsrechte in der Bundesrepublik Deutschland eingeschränkt werden.
Die bereits umgesetzten und geplanten Maßnahmen zur "Inneren Sicherheit" verwandeln Deutschland in einen Überwachungsstaat.
Vor dem Hintergrund einer "terroristischen Bedrohung" wird in der Bevölkerung bewusst und systematisch Angst geschürt. Damit werden Überwachungsgesetze, die sich gegen viele / die breite Masse / Jedermann richten, begründet und umgesetzt. Diese stellen eine oberflächliche Beruhigung der zuvor geschürten Ängste dar, sind für den Schutz vor Anschlägen jedoch weitgehend ungeeignet.
Unabhängig davon ist eine weit reichende Überwachung der Gesamtbevölkerung zur Bekämpfung einer "terroristischen Gefahr" unverhältnismäßig, da diese jeden einzelnen Bürger unter Generalverdacht stellt.
Das ständige Gefühl, möglicherweise überwacht zu werden, schränkt uns Bürger in der Wahrnehmung wichtiger demokratischer Rechte wie Versammlungsfreiheit, freie Informationsbeschaffung und freie Meinungsäußerung ein, wie bereits 1983 vom Bundesverfassungsgericht festgestellt wurde. Eine Gesellschaft, in der kritische Denkweisen und nonkonformes Verhalten die Angst vor Nachteilen nach sich zieht, erzeugt Konformismus und demokratische Unmündigkeit und verarmt kulturell.
Konkret wurden und werden ungeeignete und unverhältnismäßige Maßnahmen gerechtfertigt, die unsere Grundrechte massiv einschränken:
- Rasterfahndung
- Videoüberwachung
- Genanalysen
- Zweckfremde Nutzung des Mautsystems
- Elektronischer Reisepass
- Anti-Terror-Datei
- Präventivhaft
- Online-Zugriff auf Melderegister
- Online-Durchsuchung
- Vorratsdatenspeicherung
- Bundesweite Steuernummer
- ...
Diese und andere Maßnahmen greifen in vielfacher Weise in die Gesellschaft ein.
Durch die geplante bundesweite Steuernummer ist jeder Bürger durch eine eindeutige, zentral gespeicherte Kennung in diversen Datenbanken erfasst.
Mit dem geplanten Online-Zugriff auf Melderegister können mit minimalem Aufwand (und somit minimaler Hemmschwelle) Personendaten angefordert und vollautomatisch verarbeitet werden.
Diese technischen Lösungen verleiten dazu, Daten für vollkommen neue Zwecke zu nutzen, wie beispielsweise Erkennung auf Videobildern.
Ein konkretes Beispiel für eine derartige Zweckentfremdung ist das LKW-Mautsystem. Es war ursprünglich nur zur Abrechnung der LKW-Maut bestimmt.
Offiziell wurde es mit dieser klaren Zweckbindung eingeführt, die kurz darauf aufgehoben wurde.
Bereits in der Spezifikation der Ausschreibung wurden Eigenschaften vorgesehen, die über diesen Zweck weit hinaus gehen.
Das System ist in der Lage, den kompletten Personenverkehr auf deutschen Autobahnen zu überwachen.
Dieser Einsatz wurde bereits von einem Landesinnenminister gefordert.
Persönlichkeits- und Bewegungsprofile werden in unterschiedlichsten Lebensbereichen erstellt und miteinander verknüpft. Die Vorratsdatenspeicherung erlaubt eine rückwirkende Analyse persönlicher, privater und beruflicher Interessen. Die Positionsermittlung, ob durch Mobiltelefone, RFID-Chips (elektronischer Reisepass), Überwachungskameras oder Maut-Brücken, erlaubt umfassende Verfolgung jeder Bewegung.
Die heimliche Online-Durchsuchung von privaten Computern ist ein massiver Eingriff in den persönlichen Raum der Bürger. Da sie unbemerkt stattfindet, müssen alle Bürger in ständiger Angst vor dieser Maßnahme leben und werden ihr Verhalten entsprechend anpassen. Eine Veränderung des Untersuchungsgegenstandes Computer ist unvermeidlich. Anders als die meisten anderen Haushaltsgegenstände speichert ein Computer oft über lange Abschnitte des Lebens seiner Nutzer detaillierte und sehr intime Informationen. (TODO: Ausformulieren: Das Sicherheitsbewusstsein wird unterminiert, und das Vertrauen in Institutionen wie das BSI geht verloren.)
Im Fall der Anti-Terror-Datei werden Informationen zusammengeführt, die zuvor aus gutem Grund getrennt gehalten wurden. Die Trennung von Polizei und Geheimdienst wird schleichend aufgehoben.
Durch die Zusammenführung von Daten und das Zusammenwirken der einzelnen Überwachungsmaßnahmen wird eine höhere Stufe (neue Qualität|neue Dimension) der Gefährdung von Grundrechten erreicht.
Die Überlegungen, das Grundgesetz in seinem Wesensgehalt, nämlich dem Schutz der Bürger- und Menschenrechte, zu ändern, um Überwachungsmaßnahmen zu legalisieren, sind verfassungsfeindlich. Die spezielle Rolle des Grundgesetzes, den schleichenden Übergang in einen totalitären Staat nachhaltig zu verhindern, wird dabei ausgehöhlt.
Hier werden bewusst Gesetze formuliert, die im Widerspruch zum Geist des Grundgesetzes stehen, und wiederholt vom Verfassungsgericht beanstandet werden müssen. Unter anderem wird versucht, über die "Hintertür EU-Recht" die Verfassung zu umgehen.
Maßnahmen, die die Grundpfeiler unseres Gesellschaftssystems versetzen sollen, müssen offen und breit in der gesamten Gesellschaft diskutiert werden. Diese tiefgreifenden Änderungen werden jedoch zur Zeit eher still und heimlich im Hinterzimmer formuliert und im Eilverfahren vom Parlament durchgewunken. Schlägt diese Taktik fehl, wird gerne der intransparente Umweg über eine EU-Richtlinie eingeschlagen.
Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung sind Güter von Verfassungsrang / wertvolle Güter. Deshalb muss den Bedenken des Datenschutzbeauftragten mehr Gehör geschenkt werden. Bei fachlich begründeten Bedenken gegen Gesetzesvorhaben sollte er die Überprüfung durch das Verfassungsgericht einleiten können, was das Inkrafttreten bis zum Abschluss der Prüfung aufschiebt.
Wir erinnern die Regierung an ihre Pflicht, das Grundgesetz zu respektieren und zu schützen. Wir fordern die Abgeordneten auf, in ihrer Funktion als gesetzgebende Gewalt kein Gesetz zu beschließen, das dem freiheitlichen Geist unseres Grundgesetzes widerspricht. Das Parlament muss darüber hinaus seine Aufgabe als Kontrollinstanz wahrnehmen und sicherstellen, dass die Regierung nur innerhalb der von der Verfassung gesetzten Schranken handelt.
Insbesondere das Verhalten des Innenministers Herrn Schäuble zeigt, dass dieser in eklatanter Form seinen Amtseid, die Verfassung zu schützen und zu achten, wiederholt bricht.
Wir fordern Herrn Schäuble auf zurückzurollen.
Dass der Bundespräsident zumindest manchmal trotz politischen Druckes unabhängig Gesetze im Sinne seiner Aufgabenstellung prüft und gegebenenfalls zurückweist, ist dabei ein kleiner, leider nicht hinreichender Lichtblick.
Bitte kommen Sie Ihren Pflichten als Abgeordneter nach, damit wir nicht unsere Bürgerrechte unter Berufung auf Art. 20.4 GG selbst schützen müssen.