Der Weisheit letzter Schluss

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Über die Frage, wie wir in Zukunft mit Computern interagieren wollen.

In nicht allzu langer Zeit, genauer gesagt am 9. Dezember ist es mal wieder so weit: Die Mother of all Demos jährt sich zum 47sten Mal - das ist zwar kein rundes Jubiläum, aber in drei Jahren werde ich voraussichtlich nicht mehr im Inforz darüber schreiben. Nun ist es vermutlich so, dass die Wenigsten, die heutzutage in der Informatik eingeschrieben sind, viele Gedanken an Technik aus den 1960ern verschwenden, und entsprechend Wenige werden daher wissen, worum es bei der Mother of all Demos überhaupt ging und wodurch sie ihren Namenszusatz der Mutter aller… eigentlich verdient hat – dabei ist die revolutionäre Technik, die auf diesem Event präsentiert wurde, heute präsenter denn je und zumeist weit davon entfernt, outdated zu sein.

Am 9. Dezember 1968 präsentierte der amerikanische Ingenieur Doug Engelbart auf der Fall Joint Computer Conference die Ergebnisse seiner Forschungsarbeit am Augmentation Research Center in Stanford. Konkret ging es um den von seiner Forschungsgruppe entwickelten Prototypen eines Computersystems, das er oN-Line System (NLS) nannte. Mit dem NLS debütierten zu diesem Zeitpunkt eine Unmenge neuartiger Konzepte zur Bedienung von und Arbeit an Computern, unter anderem die erste funktionale Computermaus, einfache Computergrafik, Hypertext, kollaborative Arbeit inklusive Versionskontrolle, sowie auch Live-Videokonferenzen in denen auch der Bildschirminhalt eines Konferenzteilnehmers übertragen wurde, und noch einiges mehr.

Zur historischen Einordnung: Die Entwicklung des allerersten UNIX-Betriebssystems wurde erst im darauf folgenden Jahr begonnen! Viele der damals neu vorgestellten Konzepte wurden dennoch erst in den letzten zehn Jahren in alltagstaugliche Produkte verwandelt, während andere, wie Grafikdarstellung und Computermäuse, heutzutage kaum noch aus unserem Alltag wegzudenken sind. Ein bemerkenswerter Aspekt ist, dass nicht alle der damals als Prototypen vorgestellten Bedienkonzepte gleichmäßige Weiterentwicklung erfahren haben.

Primär in der Computergrafik werden auch weiterhin regelmäßig die Grenzen des Möglichen neu verschoben, während man von vielen anderen der damals vorgestellten Konzepte heutzutage denken könnte, sie seien der Weisheit letzter Schluss. Aus welchem anderen Grund benutzen wir sonst heute noch immer Computermäuse? Sicher, heute betreiben wir diese Geräte nicht mehr über zwei orthogonale Räder (die lange Zeit auch nicht mehr selbst über die Arbeitsfläche gefahren wurden, sondern die Bewegung einer Kugel abtasteten), sondern über optische Oberflächenabtastung per Laser – nichtsdestotrotz haben sich unsere Bedienparadigmen seit den ersten Betriebssystemen mit grafischer Benutzeroberfläche kaum geändert.

Das mag vielleicht daran liegen, dass Menschen Gewohnheitstiere sind und scheinbar viel lieber eine gewohnte aber umständliche Verhaltensweise beibehalten, als den (eigentlich einmaligen) Aufwand zu betreiben, sich ein effizienteres Verhaltensmuster anzueignen, von dem sie auf längere Sicht gesehen profitieren würden. Besonders auffällig wurde dies bei der Einführung von Microsofts Windows 8, welches radikal mit eingefahrenen Bedienungsparadigmen brach und einen Versuch darstellte, die Benutzerführung an die sich langsam zu Touch-Displays hin entwickelnde Eingabegerätebasis anzupassen. Wie dieses Experiment endete, sehen wir nun mit der Wiedereinführung des Start-Buttons in Windows 10 nach einem Aufschrei, der selbigen Twitter-Hashtag effektiv in den Schatten stellte – was allerdings auch daran gelegen haben könnte, dass die Gruppe derjenigen, die sich über die Änderungen in der Windows-Benutzerführung beschwerten, im Gegensatz zu Frauen, die sich über Diskriminierung im Alltag empören, kein vernachlässigbarer Wirtschaftsfaktor für eine Firma wie Microsoft gewesen sein dürfte.

Unabhängig jedoch von den Gründen für das Zurückrudern von Seiten Microsofts, bleibt für mich die Frage bestehen, ob die Bedienung von Rechnern per Tastatur und Maus, und eigentlich auch per Touchscreen, unseren heutigen technischen Möglichkeiten wirklich noch angemessen ist. Im Bereich der Benutzerschnittstellen gab es in den letzten Jahrzehnten primär inkrementelle Änderungen, und ehrlich gesagt betrachte ich auch Touch-Displays als eine solche (auch wenn das Inkrement zugegebenermaßen etwas größer ausfiel als beim Schritt von Kugel- zu Lasermäusen). In Anbetracht der enormen Weiterentwicklungen der letzten Jahre (eigentlich Jahrzehnte) mit Blick auf Rechenleistung, halte ich es für schändlich, dass moderne Benutzerschnittstellen noch immer überwiegend reine Eingabegeräte sind.

Das Hauptwerkzeug des Menschen zur Interaktion mit seiner Umgebung sind seine Arme und Hände, jedoch nutzen unsere Eingabegeräte nur einzelne Freiheitsgrade dieses eigentlich enorm mächtigen Systems. Wo dieser Ansatz an seine Grenzen stößt, sieht man nun bei der aufkommenden zweiten Welle der Virtuellen Realität, in der Tastaturen, Mäuse, Gamepads und auch Touchscreens einfach nicht mehr die natürliche immersive Interaktion mit dem Computersystem im Hintergrund ermöglichen, die von den entsprechenden Anwendungen eigentlich verlangt wird. Ich denke es wird Zeit, dass, wie seinerzeit Doug Engelbart bei der Mother of all Demos vor bald 47 Jahren, nun einmal wieder jemand eine kohärente Vision aufzeigt, wie wir in Zukunft mit Computersystemen interagieren wollen.

von Stefan Grieß